Gut gepolsterte Erinnerungsstücke

    Solides Handwerk gewinnt mit dem Nachhaltigkeitsgedanke wieder an Bedeutung. Dies spürt auch Margote Beeler in ihrem Polster-Atelier in Bern. Die gelernte Innendekorateurin verwandelt alte Sitzmöbel mit viel Geschick, Know-how und Empathie zu wahren Schmuckstücken. Damit erhalten die Möbel nicht nur ein zweites Leben, sondern ihre Besitzer ein Stück Nostalgie für die Stube.

    (Bilder: CR) Mit Herz und Seele bei der Arbeit: Margote Beeler macht in ihrem Polster-­Atelier im Berner Marzili-Quartier aus alten Möbeln zauberhafte Unikate.

    Der Ohrenbackensessel, auf dem Grossmutter immer ausgeruht hat oder das Biedermeier-Sofa, auf dem Grossvater jeweils die Zeitung gelesen hatte: Möbel – insbesondere Sitzmöbel – wecken Erinnerungen und erzählen Geschichten aus alten Zeiten. Doch sie sind irgendwann durchgesessen, abgenutzt oder sogar kaputt. Dann heisst es: Entsorgen oder reparieren? Entsorgen tut weh – aus nostalgischen und ökologischen Gründen. «Reparieren geht immer. Natürlich kostet das etwas, doch sind Erinnerungen und Möbel mit Geschichten unersetzbar», sagt Margote Beeler. «Antike Möbel halten nach einer Reparatur wieder mindestens eine Generation – das Gestell sogar mehrere. Es lohnt sich, ein altes Stück wieder aufzuwerten.»

    Kreativer Blickfang: Neu gepolsterter Stuhl für die Stube.

    Mit viel Erfahrung, Können und Fingerspitzengefühl
    Die gelernte Innendekorateurin findet immer eine Lösung: Sei es einen alten Puppenwagen neu auszustaffieren, den Sattel eines Motorrades wieder fahrtüchtig zu machen oder ein altes Erbstück aufzumöbeln. «Meistens handelt es sich bei den Sesseln, Stühlen und Sofas um alte Erb- oder Erinnerungsstücke. Es sind oft Objekte, zu welchen die Leute eine starke emotionale Beziehung haben», so Beeler. Die 58-Jährige versteht es mit viel Know-how und Erfahrung die alten Möbel in neuem Glanz erscheinen zu lassen. Dies benötigt allerdings eine grosse Portion Empathie, Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl, um mit den Eigentümern eine optimale Lösung zu finden. «Gerade bei älteren Menschen, die ihre klaren Vorstellungen haben, braucht es oftmals Geduld», so Beeler. Die gebürtige Neuenburgerin ist flexibel und kann somit aus dem Vollen schöpfen. Sie ist eine Praktikerin und Tüftlerin und hat Spass neue und unkonventionelle Ideen auszuprobieren. «Dies ist immer spannend und sorgt für frischen Wind und unterbricht die Routinearbeit.» Ihr oberstes Credo ist, den Bedürfnissen ihrer Kunden nachzukommen. «Jeder soll sich so einrichten wie es ihm wohl ist. Es muss für den Kunden stimmen.»

    Altes Handwerk modern interpretiert.

    Nähen, Stricken, Basteln und kreativ tätig sein, begleitet Beeler seit Kindsbeinen. Entsprechend ist ihr Berufswunsch, Handweberin zu werden. Die dreijährige Lehre absolvierte sie an der damaligen Frauenschule in Bern – heute Kompetenz Bildung Bern BFF. Nach einem Praktikum in einem Heim mit behinderten Kindern und den ersten Berufserfahrungen, entschied sich die Wahlbernerin auf dem zweiten Bildungsweg als Innendekorateurin auszubilden. Danach arbeitete sie an verschiedenen Orten – oftmals abwechslungsweise bei drei Arbeitgebern. Vor 20 Jahren machte sie sich selbstständig. Sie hat schon für viele renommierte Häuser in Bern gearbeitet – vom Kaufhaus Loeb, über Botschaften, das Bundeshaus bis zu Hotels und Restaurants. Ihr Job als Innendekorateurin beinhaltet nebst dem Polstern, das Teppichlegen, die Montage von Vorhängen und Wandverspannungen. Doch sie hat sich auf das Polstern und Nähen von Kissen, Kleidern etc. sowie diversen Flickarbeiten spezialisiert.

    Vielseitig und bequem: Kissen in allen Farben.

    Unikate zu guten Preisen
    Geissfuss, Polsterhammer, Gurtspanner, diverse Scheren, Messer, Schraubenzieher und Zangen sowie ihre rund 30-jährige Bernina-Maschine, die sie einst in einer Brockenstube ergattert hat, gehören zu den täglichen Arbeitsinstrumenten. In ihrem Atelier im Berner Marzili-Quartier überzieht sie ganze Sofas, Liegen, und Sessel mit Polsterung und dekorativen Stoffen, die mehrheitlich aus Deutschland, England, Frankreich und Spanien stammen. Die hohe Kunst des Handwerks ist besonders bei der klassischen Polsterung gefragt. Diese wird angewendet, wenn die Kundschaft ein antikes Einzelstück restauriert haben möchte. «Hier verwende ich alles Naturprodukte wie Jute, Rosshaare etc. Diese Methode ist kostspieliger als die moderne Variante mit Schaumstoff, Federn etc.» Für die moderne Polsterei – die sie sich grösstenteils autodidaktisch angeeignet hat – benötigt sie die Hälfte der Zeit. Die Individualität, die hohe Qualität sowie das langlebige und nachhaltige Handwerk, faszinieren sie nach wie vor an ihrem Beruf. «Ich liebe es, mit den Farben, Stoffen und Formen zu spielen und zu experimentieren.» Ihre Kreationen sind alles Unikate zu vernünftigen Preisen: «Es ist mir wichtig, auch für diejenigen mit einem kleineren Budget etwas Schönes zu kreieren», betont Beeler.

    Allfälliger Nachfolger gesucht
    Sie arbeitet intensiv mit einer Schreinerei und einem Vorhängegeschäft zusammen und nutzt so erfolgreich Synergien. Die innovative Handwerkerin stösst jedoch an körperliche Grenzen und wünscht sich deshalb – auch im Hinblick auf ihre Nachfolgeregelung – künftig mit einer jüngeren Person im Team zusammenzuarbeiten. «Ich suche jemanden, der auf der Basis der Selbstständigkeit bei mir arbeitet und sich so mit meinem Geschäft und meinen Kunden vertraut macht.»

    Corinne Remund

    www.polsteratelier-beeler.ch


    Polstern – ein uraltes Handwerk

    Archäologische Funde bestätigen, dass sich die Menschen in Europa vor 3000 Jahren noch auf Holz und Stein betteten, während die alten Ägypterinnen und Ägypter bereits in den Genuss von weichen Kissen kamen. In Europa finden sich erste Zeugen von gepolsterten Sitzgelegenheiten im Mittelalter wieder. Sie bestanden aus einer einfachen Strohmatte oder Lederstücken, die auf einen Holzrahmen genagelt wurden. Erst ab dem 16. Jahrhundert sind Polstermöbel in ähnlicher Form wie heute zu finden.

    Da die Sprungfeder erst im 19. Jahrhundert erfunden wurde, bestand die Polsterung vom 16. bis ins 18. Jahrhundert überwiegend aus einem Jutegurt. Auf diese kam eine dicke Schicht Palmenfasern, die als Füllmaterial verwendet wurden. Rosshaar sorgte zudem für Oberflächenweichheit.

    Durch das Aufnähen von Sprungfedern auf den Jutegurt entstand die elastische Polsterung, ein Meilenstein in diesem Handwerk. Bis weit ins 20. Jahrhundert wurde das Polsterhandwerk so ausgeübt. Heute wird die Königsdisziplin der Handschnürung zum Teil durch den Federkern abgelöst, Schaumstoff und Watte ersetzen Crin d’Afrique und Rosshaar, was zu einem neuen Sitzkomfort führt.

    CR

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